Editorial

Im Nebel des Krieges

| 24. Februar 2022

Liebe Leserinnen und Leser,

willkommen im Wahnsinn einer neuen Woche. Selten war unsere immer wiederkehrende Einleitung so zutreffend wie am Schicksalstag des 23/24. Februar. Vorab: Die jüngsten Ereignisse in der Ukraine, die eine neue Dekade und endgültig das Ende vom „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) einläuten, haben den ein oder anderen Text in dieser Ausgabe überholt – und/oder bestätigt. Aber urteilen Sie selbst.

Festzuhalten bleibt nachtragend: Die militärische Aggression Russlands wird nicht nur weitreichende geopolitische, sondern auch massive wirtschaftliche Folgen haben, über die noch zu sprechen sein wird. Nur ein Beispiel: In der Vergangenheit und auch in dieser Ausgabe haben wir viel vom Inflationsnarrativ und den steigenden Energiepreisen berichtet. Sicher ist, der Krieg in der Ukraine wird die Preise im Energiemarkt weiter anheizen, mit katastrophalen Folgen für die europäische und deutsche Wirtschaft sowie die (ärmeren) privaten Haushalte. 2022 können wir uns – im wahrsten Sinne des Wortes – warm anziehen.

Darüber hinaus ist mit den Sanktionen des Westens und der noch unabsehbaren Gegenreaktion Russlands als einer der wichtigsten Rohstoffexporteure für Europa der Siegeszug einer globalisierten und freien Wirtschaft unter der Hegemonie liberaler Demokratien, der bereits durch den Brexit, Trump und die Corona-Pandemie ins Stocken geriet, endgültig an sein Ende gelangt. Die bedrohlichen Geburtswehen einer neuen Weltordnung nehmen an Häufigkeit und Intensität zu.

Unsere Aufgabe wird es sein, vor allem die (polit)ökonomischen Implikationen dieser Umwälzungen in den nächsten Ausgaben zu beobachten, zu skizzieren und einzuordnen.

Lesen Sie in dieser Ausgabe:

  • Schlafwandelnd in den Wirtschaftskrieg: Wirtschaftssanktionen behindern die Wirtschaft ‒ und sie schaden den Wirtschaftssubjekten, also den Menschen. Doch die damit bezweckten politischen Ziele werden selten erreicht – wie sich jetzt zeigt.
  • Pragmatischer Pazifismus? Ethische Argumente gegen den Krieg gibt es viele. Doch Studien zeigen, es gibt auch Argumente für einen pragmatischen Pazifismus, der auf Erfahrung beruht.
  • Die liberale Bedrohung: Der amerikanische Exzeptionalismus ist die gefährlichste Doktrin der Welt, und sie hat sich in der aktuellen Ukraine-Krise voll entfaltet. Schlimmer noch, ihre lautesten Verfechter sind die liberalen Eliten Amerikas.
  • Standort-Wettbewerb: Die Macht der Kapitalmärkte beruht auf einer falschen Einschätzung der volkswirtschaftlichen Zusammenhänge: Nur relativ wenige unser Jobs werden von den Multis geschaffen, und die Jobs sind nur deshalb knapp, weil wir das zulassen.
  • Konjunktur: Die Bauindustrie der Eurozone befindet sich zum Ende des Jahres 2021 auf dem Weg nach unten. Aus dem Aufschwung des Frühjahrs ist im Winter eine Rezession geworden. Und auch im Einzelhandel markiert der Dezember im Schatten der Omikron-Welle einen deutlichen Einschnitt bzw. einen Rückgang des Umsatzvolumens.
  • Kurs auf‘s Riff: Die gegenwärtige Inflationshysterie hat auch ihr Gutes. Sie zeigt: Wer dem Inflationsnarrativ der Mainstream-Ökonomik folgt, begibt sich auf ein Narrenschiff, das auf wirtschaftspolitischen Grund laufen muss.
  • Pro…: Gelddrucken und Staatsverschuldung lenken bewusst von einer notwendigen Umverteilungspolitik ab. Wer den öffentlichen Investitionsstau beenden will, kommt an einer progressiven Steuerpolitik nicht vorbei, argumentiert Heinz-J. Bontrup.
  • …und Contra: Bontrup beklagt staatliche Unterinvestitionen. Grund dafür: der Griff in die „die ökonomische Mottenkiste“ der „Selbstheilungskräfte des Marktes“. Recht hat er. Doch sein Plädoyer gegen die Gelddruckerei und für die Steuerfinanzierung hindert ihn daran, die Kiste auf den Sperrmüll zu werfen, findet Paul Steinhardt.