Spotlight

[K]eine Zukunft für die Arbeit

| 06. November 2020
istock.com/WangAnQi

Liebe Leserinnen und Leser,

mit der Corona-Pandemie kehrt die Frage nach der Zukunft der Arbeit auf die Bildfläche zurück. Nicht, dass sie je verschwunden wäre – aber in Zeiten steigender Arbeitslosenzahlen, Kurzarbeitergeld, Home-Office, einer Verschiebung von Wertschöpfungs- und Lieferketten sowie einer nun beschleunigt vorangetriebenen Digitalisierung in der Arbeitswelt gewinnt sie wieder zunehmend an Brisanz.

Schon in unserem letzten Themenheft [K]eine Zukunft für die Arbeit (Frühjahr/Sommer 2020) haben wir uns mit diesen Fragen und den multiplen Krisen unserer Arbeitsgesellschaft auseinandergesetzt und ihre Geschichte erzählt, die mit dem Ende der Ära der Vollbeschäftigung in den 1970er Jahren begann. Seitdem unterliegt die Vorstellung von dem, was »Arbeit« ist, und was sie ausmacht, einem stetigen Wandlungsprozess. Längst geht es nicht mehr nur darum, ob uns die Arbeit ausgeht, sondern auch darum, wie und was »Arbeit« eigentlich sein sollte.

Nun, nachdem weitere Monate des Lebens mit der Corona-Krise ins Land gegangen sind, ist das Thema nicht weniger spannend geworden. Sind wir aber auch klüger geworden? Sicher ist nur: Das Konglomerat »Arbeit« erweist sich als so komplex, vielschichtig und facettenreich, dass es nach wie vor einiges dazu zu sagen gibt.

Eine der Facetten, über die nur noch wenig gesprochen wird, ist etwa die Frage der »Humanisierung der Arbeit«. Heute heißt die Devise eher »Hauptsache, einen Job«. Es ist die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust und materiellen Absturz, die sich mit dem sozialen Kahlschlag der Agenda 2010 verstärkt und Fragen der Qualität der Arbeit in den Hintergrund gedrängt hat. Wer erinnert sich nicht an das populäre Diktum aus dieser Zeit: »Sozial ist, was Arbeit schafft.«

Das war einmal anders, wissen Günther Grunert und Walter Tobergte. Zum Ende der 1960er und vor allem zu Beginn der 1970er Jahre rückte die »Qualität der Arbeit« mehr und mehr in den Vordergrund. Dabei blieb es aber nicht lange. Die gesellschaftlichen Umbruchprozesse, die sich in den 1990er Jahren vollzogen – nämlich die immer stärkere Durchsetzung der Marktlogik als dominantem Prinzip der Organisation der Unternehmen und der Steuerung von Arbeit –, läuteten eine Epoche der Regression ein.

Doch was heißt das eigentlich, wenn »Hauptsache, einen Job« alles ist, was zählt? In Anbetracht der technologischen Möglichkeiten führen wir ein suboptimales, wenn nicht »beschissenes« Leben, schreibt Werner Vontobel. Er bezieht sich auf den im September verstorbenen Anthropologen David Gräber: Fast 40 Prozent der Arbeitnehmer, so Gräber, empfinden ihre Arbeit als wertlos. Diese sogenannten Bullshit-Jobs betreffen auch gut bezahlte Arbeit in der Werbung, der Administration oder bei Banken. Weitere gut 20 Prozent der Beschäftigten sehen zwar den Sinn ihrer Arbeit ein, leiden aber unter der Monotonie, der Unselbständigkeit und der miesen Bezahlung ihrer Arbeit. Dazu gehören etwa Jobs in der Paketzustellung oder in Warenlagern bei Zalando oder Amazon.

Wäre da nicht ein Bedingungsloses Grundeinkommen die befreiende Lösung? Die Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE zum Beispiel glaubt daran: »der Zwang der Lohnabhängigen, ihre Arbeitskraft auf dem sogenannten Arbeitsmarkt zu fast jedem Preis zu verkaufen, entfällt.«

Paul Steinhardt verbannt solche Vorstellungen in ein utopisches Wunderland. Eine nüchterne Analyse der Probleme gegenwärtiger Arbeitsgesellschaften zeige, dass das BGE kein einziges dieser Probleme wirklich löse, dafür aber weitere neue Probleme heraufbeschwört. Denn der Grund für Arbeitslosigkeit sei allein in der mangelnden Nachfrage nach Wirtschaftsgütern zu sehen. Es mangele also nicht an Arbeitsplätzen, sondern an Einkommen.

An dieser Einsicht habe es auch unserem Münchner Diskurs zur Zukunft der Arbeit am 29. Oktober gemangelt, kritisiert Heiner Flassbeck. So sei die Diskussionsrunde im Eden Hotel Wulff um Friederike Spiecker, Dirk Ehnts, Günter Grzega und Stefan Sauer unter Moderation von Heinrich Röder und Marcus Brian (jetzt hier zu hören) vor allem deshalb aufschlussreich gewesen, weil zu sehen sei, wie man sich von ganz verschiedenen Seiten her dem Thema Arbeit widmen kann und das Eigentliche doch niemals in den Blick des Betrachters gerate. Den so wichtigen Sprung auf die gesamtwirtschaftliche Ebene habe man leider nicht geschafft. Nur dort aber könne man aber dem Phänomen der Arbeit, die in einer Gesellschaft geleistet wird, gerecht werden, so Flassbeck.

Der Podcast »Wohlstand für Alle« widmet sich der Arbeitszeit in Zeiten von Corona. Der technische Fortschritt ereignet sich mit einer unglaublichen Rasanz, doch wem kommt dies eigentlich zugute, fragen sich Wolfgang M. Schmidt und Ole Nymoen. Wo uns die Maschinen und die Algorithmen immer mehr Arbeit abnehmen, müsse doch schon längst die Arbeitszeit verkürzt werden. Doch seit fast fünf Jahrzehnten haben wir nun die 40-Stunden-Woche, und erleben, dass die Arbeitszeit sogar wieder verlängert wird. Die aktuelle Krise muss dabei als Legitimation herhalten, nicht nur konservative und liberale Politiker, auch Funktionäre von Arbeitgeberverbänden plädieren für mehr kostenlose Überstunden und für eine generelle Ausdehnung der Arbeitszeit.

Um solche Forderungen einordnen zu können, beschäftigen sich Schmidt und Nymoen mit Karl Marx und seinem Hauptwerk »Das Kapital«.